Der Anfang
Wir schreiben das Jahr 1963. Eine aussergewöhnlich lange winterliche Kälteperiode führte zur bis heute letzten «Rhygfrörni», was die Leute über den Rhein spazieren lies und in der Innenstadt entstand "Basels grösstes Schaufenster".
Eine imposante Stahl-Tragstruktur wurde dafür montiert. Ein Hauptträger 30 m lang und 1.40 m hoch, der bis heute die komplette Glasfassade im 4. Obergeschoss trägt.
Das vertikale, im Vergleich zum Hauptträger, feine Stahlgerippe, wurde von aussen wie von innen durch Aluminiumbleche verkleidet, die gleichzeitig als Halterung für die Glasscheiben dienten. Dies ist die Geburtsstunde von unserem Verkleidungsblech.
Mit festem Sitz und guter Aussicht an einer privilegierten Lage im dritten Obergeschoss, konnte das Blech dem internen Treiben zusehen, das sich beinahe täglich vor seinen Augen abspielte. Da es als stabiles, gehaltvolles Blech in U-Form konstruiert wurde, hatte es durch die, vor dem Wetter schützende Glasscheibe, auch einen beeindruckenden Blick auf die Strasse, wo es das Geschehen der Stadt beobachten konnte. Mit seinen diversen Aussparungen, Lochungen und weiteren eingebauten Spezialteilen sah das Blech nicht nur gut aus, sondern war durchaus auch funktionell und fühlte sich daher wie ein unverzichtbarer Teil des architektonischen Ensembles.
Das Schaufenster war ein echter Blickfang in der Stadt, so kam es dazu, dass die Blech-Kollegen sogar in der Zeitung abgebildet wurden. Das Blech war mächtig stolz auf seine Kollegen und genoss als stiller Zeitzeuge jeden vorbeiziehenden Tag.
Der Umbau
Doch dann kam das Jahr 1983, ein Jahr, das vieles veränderte. Der Umbau, der in diesem Jahr umgesetzt wurde, trennte das Blech von dem Innenleben des Gebäudes ab, und zwang es hinter einer inneren Wand zu verharren, die ihm mit bloss etwas Abstand vor die Nase gesetzt wurde. Da das Blech kein Recht auf Einsprachen oder dergleichen hat, musste es die Situation zusammen mit seinen Kollegen stillschweigend hinnehmen. Nur noch ab und zu durfte es Menschen beobachten, die Werbungen, Leuchten oder Reparaturen im entstandenen Zwischengang ausführten. Der Blick nach draussen blieb ihm zum Glück erhalten, doch die Stille, die nun mit der neuen Wand eingetreten ist, war nicht immer leicht auszuhalten.
Die Demontage
Fast 40 weitere Jahre hing das Blech an der Tragstruktur, beobachtete die Leute draussen auf der Strasse, sah diverse Fasnachtsumzüge vorbeiziehen und viele hektische Leute, die auf der Strasse auf und abliefen. Insbesondere die Weihnachtszeit brachte diese Unruhe, aber auch eine wunderbare Beleuchtung der Strasse und der Fassade, zu welcher das Blech gehörte.
So langsam fing das Blech an seinen äussere Farbanstrich zu verlieren. Da es aber mit einer sehr robusten Grundbeschichtung (vermutlich einer Fluor-Polymer-Beschichtung aus dem Jahr 1960) ausgeführt wurde, machte ihm der Farbverlust keine Sorgen.
Dann plötzlich, es war ein Tag im September 2021, kamen Handwerker mit diversen Werkzeugen ausgerüstet auf das Blech zu. Sie fingen an, die Befestigungen vom Blech zu lösen, schnitten die Dichtung weg, die das Blech mit der Verglasung verband und hoben das Blech weg. Huch, war das ein komisches Gefühl so plötzlich frei zu sein. Es wurde behutsam auf den Gitterrost gelegt und dort erstmal liegen gelassen. Ab dann kamen immer wieder unterschiedliche Leute, schauten sich die entstandene Lücke in der Verkleidung der Tragstruktur an und einige interessierten sich sogar für das Blech, das nun nebenan lag. Es war eine etwas unsichere Zeit, da es nicht recht wusste, was mit ihm geschah.
Die Reise
Zwei Personen sind dem Blech besonders aufgefallen. Ein Herr und eine Dame haben es immer wieder hochgehoben, es vermessen, fotografiert. Echt seltsam war das. Eines Tages kam die Frau wieder vorbei und nahm das Blech einfach mit. Ganz aufgeregt stieg das Blech in das Auto. Ein paar Tage und Zwischenstopp später, durfte es in Rafz wieder an die frische Luft. Die Frau war immer noch dabei, auch der Herr war nun wieder da. Es beobachtete, wie die beiden mit einer anderen Person sprachen, an die das Blech dann auch übergeben wurde.
Ein paar Stunden später wurde das Blech in ein Bad getaucht und dort für mehrere Stunden in Ruhe gelassen. Sozusagen frisch geduscht wurde es einige Zeit später aus dem Bad gezogen und zum Trocknen auf eine Palette gelegt. Es fühlte sich etwas komisch, so blickte das Blech ganz langsam an sich herunter und sah, dass die Farbe, die sich teilweise bereits gelöst hatte, nun komplett weg war. Nur die ursprüngliche, wie gesagt sehr robuste Grundbeschichtung war nach wie vor schützend um das Blech gelegt.
Mit einem LKW ging die Reise weiter in ein Zwischenlager von wo es diese Frau wieder abgeholt und zu sich nach Hause genommen hat. Im schönen, grünen Gras durfte sich das Blech für die Fotosession präsentieren.
Wiederum ein paar Tage später, ging die Reise weiter nach Allschwil. Dort wurde es von einem Mann begutachtet. Er kratzte und schliff an dem Blech herum und ertastete immer wieder die Oberfläche. Bis es schlussendlich in eine Kammer gesteckt wurde und dort mit neuer Farbe wieder hervorkam. Nach der obligatorischen Trocknungszeit wurde das Blech wieder von der Dame abgeholt und diesmal nach Oberwil gefahren. Dort wurde das Blech mit viel Liebe und Zuneigung umsorgt.
Mit dem Tram ging die Reise dann zurück an den ursprünglichen Ort, wo es der Bauleitung übergeben wurde. Nicht ohne vorher noch für eine weitere Fotosession zu posieren...
Die Entscheidung
Das frisch lackierte Verkleidungsblech stand nun im Büro vom Bauleiter, und bekam dort so einiges mit. Wie schön war das, nach der langen eher stillen Zeit, wieder mitten im Alltag der Leute zu stehen. Geschichten zu hören u.a. auch wie es mit ihm und seinen Kollegen weitergehen sollte. Angeblich war dies ein Thema bei diesem Umbau. So wollten einige, dass die restlichen Bleche, die gleiche Reise machen durften mit dem Bad und dem neuen Anstrich und andere wollten die Verkleidungsbleche wegwerfen und durch neue Bleche ersetzen. Es war eine unruhige Zeit für das Blech, schliesslich war ihm klar, dass diese Diskussion über sein Weiterleben oder Tod entscheiden würde.
Ein paar Wochen zogen so über das Land. Die Entscheidungen wechselten hin und her, liefen aber je länger in Richtung Abgrund / Tod hinaus. So war es dann auch für das Verkleidungsblech nicht mehr ganz überraschend, dass an einem Spätfrühlingstag das Todesurteil gefällt wurde. Das Blech war unendlich traurig, wollte es doch so gerne mit dem neuen Glanz an seinen Platz zurück und seine Aufgabe weiter wahrnehmen. Dann kam die Wut in ihm hoch. Es konnte nicht verstehen, weshalb es und seine Kollegen durch neue Bleche ersetzt werden sollten. Ja über die Zeit haben die meisten ein paar Dellen abbekommen, die konnten auch durch das Bad nicht weggemacht werden. Aber sie waren alle noch immer robust, funktionstüchtig und lebendig. Und dadurch, dass vor 40 Jahren diese Wand gesetzt wurde, konnte niemand diese Bleche, geschweige denn allfällige Dellen daran sehen. Mit Ausnahme der Leute, die sich vereinzelt in diesen Zwischengang wagten. Diese, das weiss das Blech aus Erfahrung, bescherten sich aber herzlich wenig um das Aussehen der Bleche.
Bis zum Abschluss der Sanierungsarbeiten hoffte es, dass der Entscheid doch nochmal revidiert wurde, denn so bekam es das Blech mit, wurden seine Kollegen fein säuberlich demontiert und mit Positionsnummern versehen, was eine Wiederverwendung möglich gemacht hätte. Als es dann aber sah, dass neue Bleche nun den Platz der inneren Verkleidung der Stahl-Tragstruktur einnahmen, starb auch dieses letzte Quäntchen Hoffnung.
Die Neuen
Zugegeben, die neuen Bleche sehen makellos aus, weisen keine Dellen auf und passen wie geplant auf die Stahlkonstruktion. Dennoch fehlt ihnen zum einen die grossen Löcher, die durchaus eine Funktion hatten, sie sind nun wirklich "nur" noch Verkleidungen und sind nicht ganz so robust ausgeführt wie die Alten. Zudem fehlt es Ihnen eindeutig an spannenden Geschichten, die sie von vergangenen Zeiten erzählen könnten. Die müssen sie nun zuerst erleben.
Die vorerst letzte Reise
Die neuen Bleche hingen schon eine ganze Zeit am Stahlträger, als plötzlich wieder Aufregung ins Leben vom einzig noch überlebenden Verkleidungsblech kam. So wurde es von der Bauleitung weggetragen und zum Mitnehmen bereitgestellt. Da es an einer etwas ungünstigen Lage abgestellt wurde, kam das Blech beinahe in die Entsorgung.
Zum Glück kam aber wieder diese Dame, gerade noch rechtzeitig, und nahm das Blech mit zu sich in ihr neues zu Hause, ein zu Hause, das ursprünglich dem Autor gehörte, der den Zeitungsartikel über seine Blech-Kollegen dazumal im Jahr 1963 verfasst hat...
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